Das Wichtigste in Kürze zur Schulzeit:


Die Entwicklung des Grundschulkindes (6 - 10 Jahre)


Jedes Kind ist einzigartig!

1. Es gibt kein Entwicklungsmerkmal, welches bei allen gleichaltrigen Kindern gleich ausgeprägt ist.
2. Die Vielfalt unter gleichaltrigen Kindern entsteht, weil Eigenschaften und Fähigkeiten von Kind zu Kind unterschiedlich ausgeprägt sind (z.B. die Körpergröße)
und unterschiedlich rasch ausreifen (z.B. die gesprochene Sprache)
3. Die einzelnen Eigenschaften und Fähigkeiten sind im Kind selbst unterschiedlich angelegt und reifen verschieden rasch aus (z.B. kann es sein, dass sich seine sprachlichen Fähigkeiten rascher entwickeln als seine motorischen).
4. Mädchen als Gruppe sind von Geburt an immer etwas weiter entwickelt als Jungen. Dies ist auf eine unterschiedliche Zeitskala der biologischen Reifung bei
Mädchen und Jungen zurückzuführen.
5. Die soziale, kulturelle und religiöse Umwelt, in der das Kind aufwächst, trägt wesentlich zur Vielfalt unter den Kindern bei.
6. Die im Kind angelegte Vielfalt in ihrem ganzen Ausmaß wahrzunehmen und als biologische Realität zu akzeptieren ist eine grundlegende Voraussetzung dafür,
den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder in Familie und Schule gerecht zu werden.


Wie Anlage und Umwelt auf das Kind einwirken:

1. Die Anlage schafft die Grundvoraussetzungen dafür, dass sich Fähigkeiten und Verhalten ausbilden können. Sie allein bringt aber weder Fähigkeiten noch verhalten hervor. Das gelingt nur gemeinsam mit der Umwelt.
2. Die Umwelt trägt in zweierlei Hinsicht zur Entwicklung eines Kindes bei: Sie befriedigt seine körperlichen und psychischen Bedürfnisse. Und sie ermöglicht dem Kind jene Erfahrungen, die es braucht, um sich Fähigkeiten und Wissen anzueignen. Wenn ihm die Umwelt die notwendigen Erfahrungen vorenthält, kann es sich nicht
seiner Anlage entsprechend entwickeln.
3. Das Kind entwickelt sich aus sich heraus:
• Es ist aktiv: Seine Interessen und Neigungen richten sich nach seinem Entwicklungsstand.
• Das Kind ist selektiv: Es sucht bestimmte Erfahrungen. Es orientiert sich an seinen Interessen und Neigungen.
• Es beeinflusst mit seiner Persönlichkeit und seinem Verhalten seine soziale Umgebung, was sich wiederum darauf auswirkt, wie die Umgebung mit ihm umgeht.
4. Die individuellen Fähigkeiten und Verhaltenseigenschaften setzen sich im Verlauf der Entwicklung immer mehr durch. Die Umwelt bestimmt das Angebot an  Erfahrungen, die das Kind machen kann. Das Kind bestimmt, was es davon
aufnehmen will.
5. Das Kind kann immer nur so viel von der Umwelt aufnehmen, wie ihm von seinem Entwicklungsstand vorgegeben ist. Ein Angebot, welches über seine Bedürfnisse hinausgeht, bleibt ungenutzt oder behindert gar seine Entwicklung.


Wie Kinder lernen und warum die Orientierung an Defiziten falsch ist!

1. Formen des Lernens:

  • Soziales Lernen. Das Kind eignet sich Verhalten durch Nachahmung an. Dazu braucht es Vorbilder.
  • Lernen durch Erfahrung mit der gegenständlichen Umwelt. Die gegenständliche Umwelt lernt das Kind mit seiner Motorik und seinen Sinnen kennen und verstehen, indem es sich selbstständig mit ihr auseinandersetzt.
  • Lernen durch Unterweisung. Die Unterweisung dient dazu, das Lernangebot in Form und Inhalt den entwicklungsspezifischen Interessen des Kindes anzupassen und das Kind in seinem Lernverhalten zu unterstützen.

2. Das Kind entwickelt sich aus sich selbst heraus, wenn sein körperliches und psychisches Wohlbefinden gewährleistet ist und es die notwendigen entwicklungsspezifischen Erfahrungen machen kann.

3. Die Spannung zwischen dem aktuellen Entwicklungsstand eines Kindes und dem Bedürfnis nach neuen Erfahrungen nehmen wir als Neugierde wahr.

4. Echtes Lernen setzt voraus, dass Erfahrungen mit bestehendem Wissen und bereits vorhandenen Fähigkeiten vernetzt werden können.


Wie eine gute Lernmotivation entsteht!

1. Damit das Kind lernen kann, muss es eine vertrauensvolle Beziehung zum Lehrer oder zur Lehrerin haben. Sich geborgen und angenommen fühlen ist eine Grundvoraussetzung für das Lernen.

2. Die Anforderungen sollten dem Entwicklungsstand angepasst sein. Kinder spüren sehr genau, wo ihre Stärken und Schwächen liegen.

3. Das Kind hat in jedem Alter eine angeborene Neugier. Es will von sich aus lernen und Fortschritte machen.

4. Selbstbestimmtes Lernen heißt, dass das Kind aktiv und selektiv Lernerfahrungen machen kann. Nur so kann es das frisch Gelernte mit seinem bestehenden Wissen vernetzen.

5. Lernstrategien werden nur durch selbstbestimmtes Lernen erworben.

6. Erfolgreiches Lernen führt zu einem guten Selbstwertgefühl und zu der Motivation, die Herausforderungen mit Selbstvertrauen anzugehen.


Vielfältige Bindungs- und BeziehungsErfahrungen sammeln!


1. Der Mensch hat wie alle Säugetiere ein ausgeprägtes Bindungsverhalten. Das Kind bindet sich an diejenigen Personen, die es ernähren, pflegen, schützen und von denen es lernen kann.

2. Das Kind bindet sich nicht nur an die Eltern, sondern auch an andere Bezugspersonen. Eine Lehrerin ist für das Kind eine Bezugsperson.

3. Das Kind muss sich bei der Lehrerin geborgen und angenommen fühlen, damit es lernen kann.

4. Die Beziehung zwischen Kind und Lehrer wird vertrauensvoller und belastungsfähiger, wenn der Lehrer das Kind nicht nur unterrichtet, sondern auch auf seine emotionalen Bedürfnisse und Interessen eingeht.

5. Fühlt sich das Kind durch die Lehrer nicht akzeptiert oder gar abgelehnt, kann es den Gehorsam und auch das Lernen verweigern.

6. In der Pubertät vermindert sich die emotionale Abhängigkeit des Kindes von Eltern und anderen Bezugspersonen. Eltern und Lehrer erleben dies als einen Kontroll- und Liebesverlust. Die Beziehung zwischen Erwachsenem und Jugendlichem muss auf der Basis von gegenseitigem Respekt neu gestaltet werden.

7. Es ist das Wesen des Jugendlichen, auf seine Rechte als angehender Erwachsener zu pochen. Es ist die erzieherische Aufgabe der Eltern und Lehrer, bei dem Jugendlichen auch die Pflichten einzufordern.


Was Kinder kompetent macht!


1. Verbale Fähigkeiten: Sprache und Verstehen

  1. Für einen erfolgreichen Start in der Schule müssen die sprachlichen Grundfähigkeiten im Vorschulalter gut ausgebildet werden. Dazu braucht das Kind- spätestens ab dem2. Lbj.umfassende und intensive kommunikative Erfahrungen mit Erwachsenen und vor allem anderen Kindern.
  2. Damit sich die gesprochene Sprache zwischen 5 und 16 Jahren möglichst gut entwickeln kann, muss das Kind vielfältige Erfahrungen und Anwendungsmöglichkeiten mit unterschiedlichsten Umgebungen und Themen (Gespräche, Interviews, Vorträge, Streitgespräche, Theater etc.) machen können.
  3. Das Lesen entsteht aus den Grundkompetenzen der gesprochenen Sprache.

2. Motorische Fähigkeiten: „Be- Greifen“, „Ver-Stehen“

  1. Regelmäßige Bewegung fördert das körperliche und psychische Wohlbefinden. Es vermindert die motorische Unruhe und erhöht wahrscheinlich auch die Lernbereitschaft. Eine kindgerechte Schule respektiert das Bewegungsbedürfnis der Kinder und integriert es in den Unterricht.
  2. Die sog. Hyperaktivität ist bei der Mehrheit der Kinder Ausdruck der normalen motorischen Variabilität. Diese Kinder brauchen mehr Freiraum und Aktivitäten mit anderen Kindern, um ihren Bewegungsdrang ausleben zu können. Nur etwa 1 Prozent aller Kinder leiden an ADHS.
  3. Die motorische Kompetenz benötigt etwa 15 Jahre, um sich vollständig zu entwickeln. Vielfältige und regelmäßige Bewegungserfahrungen sich daher während der ganzen Kindheit für die Ausbildung der motorischen Kompetenz und die Vernetzung mit anderen Kompetenzen notwendig.

3. Kognitive Fähigkeiten: Wahrnehmen und Denken

  1. Das Kind braucht Denkanreize, um seine logischmathematischen Fähigkeiten zu entwickeln. Lernen, das mit konkreten Erfahrungen verbunden ist, ist weitaus nachhaltiger als die isolierte Beschäftigung mit Zahlen.
  2. Die Unterformen des logischen Denkens wie Kategorisieren, analytisches und deduktives Denken entwickeln sich im Verlauf der ganzen Kindheit. Ein Zahlenverständnis tritt bei den meisten Kindern erst im frühen Schulalter auf.
  3. Kinder erbringen heutzutage bezüglich visueller Gestaltwahrnehmung und Raumorientierung höhere Leistungen als vor 30 Jahren. Die beschleunigte visuelle Entwicklung ist den Erfahrungen mit den Bildgebenden Medien zuzuschreiben.
  4. Das Kind sollte die Möglichkeit bekommen, seine figuralräumlichen Vorstellungen praktisch in möglichst vielfältiger Art umzusetzen. Nur so kann es motorische Fertigkeiten ausbilden, die es später braucht, um gestalterisch tätig zu sein.
  5. Fernseher und Computer werden vorschnell verteufelt und zu Sündenböcken gemacht. Der ausufernde Medienkonsum ist hauptsächlich eine Folge von ungenügenden Betreuungsstrukturen und fehlenden Möglichkeiten für kindgerechte Aktivitäten. Die Defizite an entwicklungsgerechten Erfahrungen, die durch den Medienkonsum entstehen, beeinträchtigen die Kinder in ihrer Entwicklung weit mehr als die Inhalte der Fernseh- und Computerprogramme. Anstelle von Verboten sollten daher die Betreuung und Erfahrungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche verbessert werden.

4. Kreative Fähigkeiten: Fantasie und Sinngebung

  1. Singen, Tanzen und Musizieren tragen zur emotionalen Zufriedenheit, zum inneren Gleichgewicht und zum gemeinschaftlichen Zusammenhalt bei.
  2. Verbessertes emotionales Wohlbefinden kann sich wiederum positiv auf die Lernmotivation auswirken.
  3. Kinder können bis in die Pubertät nur konkret denken und sind deshalb auf praktische Erfahrungen angewiesen, um zu begreifen. Sie müssen Einsichten erleben.
  4. Erste Moralvorstellungen treten bereits im Kleinkindalter auf und entwickeln sich bis ins Erwachsenenalter fort. So wie sich ein Verständnis sozialer Systeme von der Familie bis zur Weltbevölkerung herausbildet, erweitert sich auch der Moralbegriff, bis er schließlich universell ist.

aus: Remo H. Largo, Martin Beglinger:   Schülerjahre – Wie Kinder besser lernen , piper201o